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Der
1300-Ringe-Schütze der Zukunft
von Dave Keaggy
aus: The US Archer
Es
kommt nicht oft vor, daß man in irgendeiner Sportart eine besonders bemerkenswerte
Veränderung feststellen kann. Die meisten Leistungssteigerungen sind im
allgemeinen das Ergebnis des Fortschritts, ein langsamer Prozeß von Erkennen
und Umsetzen in die Praxis, bis sich bestätigt, daß die neue Methode besser
ist als die vorangegangene.
Die
Art des Bogenschießens, die ich hier darlegen will, ist eine Kombination von
Dingen, die in der Vergangenheit ausprobiert und benutzt wurden, aber jetzt nach
einem neuen und vielleicht extremen Konzept angewandt und zusammengestellt
werden.
Beginnen
wir damit, das Konzept in logische Schritte aufzugliedern. Als erstes müssen
wir uns mit der Frage befassen: Wie kann ein menschlicher Körper 144 Pfeile in
nahezu gleichbleibender Weise schießen, um ein Ergebnis von 1300 Ringen bis hin
zu möglichen 1440 zu erreichen ?
Gehen
wir einen Schritt weiter. Wie kann ein menschlicher Körper 144 Pfeile in
dasselbe Loch schießen? Unter der Voraussetzung, daß es keine äußeren
Einflüsse wie Wind, Hitze usw. gibt?
Wie
kann ein menschlicher Körper einen Golfball sechzigmal oder öfter auf gleichbleibende
Art schlagen, um ein Rekordergebnis zu erlangen? Oder - wie kann ein menschliches
Wesen 100 Golfbälle in dasselbe Loch schlagen, vorausgesetzt, es gibt keine
äußeren Einflüsse?
Wie
kann ein Billardspieler 100 Kugeln in immer gleich perfekter Weise treffen? Wie
gelingen einem Basketballspieler 100 aufeinanderfolgende Würfe, ohne Berührung
des Korbrandes?
Wie
viele kluge Leute auch über diese Frage nachdenken, sie werden immer zu dem
gleichen Schluß kommen: Wir Menschen können Maschinen entwickeln und
herstellen, die exakt nach unseren Wünschen arbeiten. Eine Schießmaschine wird
die Pfeile, in dieselbe Stelle schießen, Basketbälle in den Korb werfen und
Golfbälle in das Loch.
Welchen
Schluß müssen wir aus dieser Erkenntnis ziehen? Ganz einfach, das menschliche
Wesen muß sich in eine menschliche Schießmaschine verwandeln.
Dieser
Schluß bringt uns zur nächsten Frage: Was hat eine mechanische
Schießmaschine, das ein menschliches Wesen nicht hat? Oder vielleicht sollten
wir die Frage umdrehen: Was hat ein menschliches Wesen, das eine Maschine nicht
hat?
Ein
menschliches Wesen hat:
-
Muskeln
-
Herzschlag
-
Nerven
-
Vernunft
-
Streß
-
Angst
-
Persönlichkeit
-
überbelastete
Gelenke
-
Kälteempfinden
-
Lebenswille
-
Ermüdung
-
chemische
Unausgewogenheit
-
Flüssigkeitsentzug
-
figürliche
physische Unterschiede
-
bedingte
Reflexe
-
Wille
-
Anfälligkeit
für Veränderungen
-
Wahrnehmungsfähigkeit
Es
gibt noch mehr Faktoren als die, die hier angeführt sind, und einige davon
können sich überschneiden.
Beim Betrachten der Aufstellung erkennt man sofort, daß alle diese
Eigenschaften, die den Menschen von der Maschine unterscheiden, die eigentlichen
Gründe dafür sind, daß der Mensch nicht die Präzision einer Maschine
erreichen kann - der Mensch kann ihr nahekommen, und das ist unser lebenslanges
Bemühen.
Der nächste Schritt:
Wie können wir ein menschliches Wesen so trainieren, daß es die Pfeile auf
fast die gleiche Art schießt wie die vom Menschen geschaffene Maschine? An
dieser Stelle gehen die Ansichten der Trainer auseinander, hier werden
unterschiedliche Forderungen gestellt, Konzepte entwickelt und Argumente
vorgebracht. Ich hörte einen Weltmeister sagen: Es ist zu 90 % eine mentale
Angelegenheit. Ein Trainer: Nur ein paar Menschen, solche mit einer
außergewöhnlichen mentalen Kontrolle, können Weltklasseschützen werden. Noch
alarmierender ist folgendes: In einem Land stellte man nach gründlicher
Prüfung fest, daß man nicht in der Lage war, aus Leuten, die die üblichen
athletischen Fähigkeiten besaßen, Topschützen zu machen, das verlangt einen
bestimmten oder speziellen Typ mit speziellen mentalen Anlagen.
Heute
sehe ich keine der oben gemachten Aussagen als Tatsache. In den vergangenen
Jahren habe auch ich den Fehler gemacht zu glauben, daß jemand besondere
mentale Fähigkeiten besitzen oder entwickeln müsse und ich habe sogar Übungen
zur Steigerung der mentalen Kontrolle vorgeschlagen.
Die
logischen Schlußfolgerungen, zu denen ich jetzt (nach anderthalb Jahren
täglichen Trainings und einer intensiven Beobachtung der Weltklasseschützen)
gekommen bin, führen zu einem Konzept, das ich erklären kann, wenn ich den
Menschen mit einer Maschine vergleiche.
Aufgrund
dieser Gedankengänge lege ich hier meine Philosophie des perfekten
Bogenschützen vor, wobei ich mir bewußt bin, daß ich damit unter Trainern wie
auch unter Schützen Meinungsverschiedenheiten heraufbeschwöre, ich bin aber
voller Vertrauen, daß diese Philosophie in naher Zukunft in das Training
aufgenommen werden wird.
Philosophie
des perfekten Bogenschützen:
Wenn das
Signal zum Beginn des Schießens gegeben wird, muß ich eine Schießmaschine
werden, die durch eine einfache Befehlseingabe gesteuert wird, um eine einfache
Aufgabe zu erfüllen.
Meine
Aufgabe ist genau: Drei Pfeile in die Mitte der Scheibe zu schießen, ohne
Zögern und ohne Beachtung irgendeines anderen Faktors. Nach Erledigung dieser
Aufgabe ist mein Programm abgeschlossen, ich gehe von der Schießlinie und
verwendete mich wieder in ein menschliches Wesen. Die einzige eigene
Entscheidung, die mir mein Programm läßt, ist das Beachten der Elemente (Windeinfluß).
In
meinem Programm des perfekten Bogenschützen sind die nachstehend aufgeführten
Punkte nicht enthalten:
-
Denken - die
Maschine denkt nicht.
-
Ändern
der Haltung - die Maschine kann nichts ändern.
-
Gefühle
- die Maschine fühlt nicht.
-
Reaktionen
- die Maschine kann nicht reagieren
-
Geräusche
- die Maschine kann nicht hören.
-
Einflüsse
- die Maschine kann nicht beeinflußt werden.
-
Beachtung
der anderen - die Maschine kann nichts anderes beachten.
-
Ändern
des Tempos - die Maschine ist nur auf einen Ablauf programmiert, nur
ein Signal oder ein Materialschaden kann sie aufhalten.
Um
der perfekte Bogenschütze zu werden, muß ich, als ein menschliches Wesen, mich
selbst auf die folgende Weise noch einmal völlig neu programmieren:
-
Ich
muß meinen Körper soweit trainieren, daß er nicht mehr ermüdet.
-
Ich
muß eine Methode entwickeln, auf die schnellstmögliche Art zu schießen,
damit
-
meine
bedingten Reflexe die völlige Kontrolle übernehmen und ich nicht denken
muß.
-
Ich
schieße so schnell, daß ich meinen denkenden und logischen Verstand
umgehen und auf eine rein mechanische Art schießen kann.
-
Ich
führe den Schießvorgang schnell durch, damit mein Nervensystem, mein
Herz, meine Lungen oder mein Kopf die bedingten Reflexe, die ich mir
antrainiert habe, nicht stören können.
-
Ich
lerne, meine drei Pfeile jedesmal in 55 Sekunden zu schießen, beginnend
im Augenblick, wo das Signal zum Schießen gegeben wird und mein
Programm beginnt.
-
Ich
benutze kein Fernglas, weil meine drei Pfeile genauso geschossen wurden,
wie sie eine Maschine geschossen hätte, und weil ich nicht denke oder
fühle, besteht auch kein Grund zu wissen, wo die Pfeile sitzen.
-
Das
Ergebnis ist nicht wichtig, nur die Ausführung des Programms ist
wichtig. Die perfekte Ausführung des Programms führt zu einem
perfekten Ergebnis. Ich weiß, daß das Ergebnis nicht wichtig ist, weil
ich, wie die Maschine, keine Gefühle habe.
-
Weil
das Programm der Maschine unveränderlich ist und weil sie ihren
Schießrhythmus nicht ändern kann, sobald sie begonnen hat, kann ich
meinen Rhythmus aus Rücksicht auf andere Schützen nicht ändern.
Sollten sich andere Schützen dadurch gestört fühlen, dann sind sie
noch menschliche Wesen und keine perfekten Bogenschützen. Andere
perfekte Bogenschützen würden mich so wenig beachten wie ich sie.
-
Ich
muß einen Schießstil entwickeln, der für eine Passe von drei Pfeilen
einen gleichbleibenden Rhythmus ergibt, ohne Pause zwischen den Pfeilen.
Der perfekte Bogenschütze hat kein Verlangen nach Ruhe, und weil ich so
schnell schieße, ermüde ich in keiner Weise.
Alles,
was ich hier angeführt habe, ist Theorie und milde ausgedruckt, fast extrem. Wir
wollen einmal überprüfen, was wir gerade festgestellt haben und wohin uns das
führt.
Wenn wir uns entschlossen haben, in unserem Schießen maschinengleich zu werden,
brauchen wir eine Trainingsanleitung, um unser Ziel zu erreichen.
Maschinengleich werden erfordert, alle Abweichungen in unserer Form zu
beseitigen und physische und mentale Änderungen, die auftreten, so gering wie
möglich zu halten.
Hier
die erforderlichen Schritte beim Schießen eines Pfeiles:
-
Legen
Sie den Pfeil vor dem Startsignal auf.
-
Beim
Signal zum Schießbeginn legen Sie die Finger schnell und sicher an die
Sehne....
-
Setzen
Sie die Bogenhand schnell in den Griff. Alles das soll durch wiederholtes
Training ohne viel zu denken automatisch geschehen.
-
Setzen
Sie den Bogenarm vor, bereit zum Ziehen.
-
Wenn
Sie ziehen, drücken Sie den Bogenarm in Richtung zur Scheibe vorwärts,
wobei Sie die Bogenarmschulter strecken und senken. Dieses Drücken-Ziehen
ist äußerst wichtig zum Aufbau einer festen Bogenarmschulter und hält die
Muskeln von Schultern und Rücken im Gleichgewicht. Die meisten Bogenschützen setzen den Bogenarm und "ziehen nur". Damit baut sich
kein Gleichgewicht auf.
-
Wenn
Sie die Bogenarmschulter nach unten und vorwärts strecken, lassen Sie die
Schulter nach innen hinter den Bogen kommen, und schießen Sie so dicht wie
möglich am Unterarm vorbei, ohne den Ellenbogen mit der Sehne zu streifen.
-
Ankern
Sie schnell mit der äußersten Pfeilspitze auf dem Klicker.
-
Lernen
Sie, das Visier sehr nahe an die Scheibenmitte zu bringen, wenn Sie ziehen
und ankern, damit verringern Sie die Zeit, die Sie nach dem Ankern zum
Zielen benötigen.
-
Während
des Zielens sollte Ihr Körper zwei Grundfunktionen ausführen:
-
Obwohl
sich Ihr Bogen nicht nach vorn bewegt, sollten Sie das Gefühl haben, als
drücke er in die Scheibenmitte.
-
Der
Ellenbogen des Zugarmes sollte sich aufwärts und rückwärts drehen, bis
der Klicker klickt.
(Der Zugarm zieht in Wirklichkeit nicht durch den Klicker, sondern
der Ellenbogen des Zugarmes dreht durch den Klicker.)
Diese
zwei Grundfunktionen werden durch bewußte Gedankenkontrolle ausgeführt. Die
meisten der anderen Funktionen können durch ständiges Wiederholen als
mechanische Funktionen erlernt und programmiert werden.
-
Verpflichtung
ist ein Schlüsselwort. Ihrer Verpflichtung zum Release sollten sie 3 bis 4
1/2 Sekunden nach dem Ankern nachgekommen sein. Das gilt besonders für
Schützen, die hohe Zuggewichte schießen. Bei Schützen mit leichten Bogen
kann die Zeitspanne etwas länger sein.
Wenn
Sie über eine längere Zeitspanne halten, ermüden die Muskeln, die Gelenke
werden zusammengepreßt, die Augen werden müde, der Sauerstoff bedarf steigt,
Ängste entstehen und das bewußte Denken fängt an, den Schützen zu
kontrollieren.
Von
dem Augenblick an, wo Sie sich entschlossen haben, zu zielen und den Pfeil
freizugeben, sollte sich nichts ändern. Ihre Aufgabe sollte gleichbleibend und
schnell ausgeführt werden, so, wie eine Maschine diese Funktion erfüllen
würde.
Bei
all diesen Punkten gibt es Verfeinerungen, und es ist äußerst wichtig, daß
Sie den richtigen Bogengriff wählen, den geeigneten Tab, die passende
Zuglänge. Diese Dinge sollten Sie mit Ihrem Trainer klären.
Ich
möchte hier erwähnen, daß die Druck-Zug-Methode ihren Bogenarm um mehr als
ein Inch (2,6 cm) nach vorn bringen kann, im Gegensatz zu der Methode, die
Schulter natürlich zu setzen und nur zu ziehen.
Am
23. Mai 1982 war ich dabei, als 2 Runden über mehr als 1300 Ringe geschossen
wurden und ein neuer Weltrekord über 50 m mit 345 Ringen. Beide Schützen
streckten die Bogenarmschulter nach vorn und hinter den Bogen. Beide Schützen
lösten innerhalb von 3 bis 41/2 Sekunden nach dem Ankern.
Lernen
Sie, Ihr Tempo zu beschleunigen, wenn Sie trainieren. Haben Sie mehr Vertrauen
in einen mechanischen Schießstil, und lassen Sie Ihr Denken so weit als
möglich aus dem Spiel.
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